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Ich fühle, was Ihr nicht mal denkt – Hochsensibilität (endlich) verstehen

  • Autorenbild: Alexografie
    Alexografie
  • vor 4 Tagen
  • 9 Min. Lesezeit


„Du bildest Dir das mal wieder nur ein.“

„Du interpretierst da viel zu viel rein.“

„Wenn ich nein sage, meine ich nein! Komm mir jetzt nicht wieder damit, dass das nicht stimmt!“

„Aha, Du meinst also mehr über mich zu wissen, als ich selbst? Nee, is’ klar!“


Kommt Euch das bekannt vor? Wenn Ihr hochsensibel seid, dann vermutlich schon. Denn Hochsensibilität ist nicht einfach nur ein bisschen 'mehr fühlen' – es ist eine komplett andere Art von Wahrnehmung! Und das wird innerhalb des persönlichen Umfeldes – wie auch noch überwiegend innerhalb der gesamten Gesellschaft – verflixt oft missverstanden. Vor allem von Menschen, die selbst nicht so ticken.




Inhaltsverzeichnis:

Was viele nicht wissen

Wir HSP’s (Highly Sensitive Person = Hochsensible Person) hören nicht nur, was andere sagen – wir spüren, was nicht ausgesprochen wird! Und manchmal erkennen wir Gefühle in Menschen, die sie selbst (noch) nicht mal benennen oder einordnen können.

Das liegt nicht daran, dass wir jeden „analysieren“, um ihn zu bewerten. Es passiert einfach. Weil unser innerer Radar permanent auf Empfang steht. Körpersprache, Tonlage, Pausen, Stimmungen – all’ das nehmen wir mit auf. Ob wir wollen oder nicht.

Und genau deshalb: Wenn Worte und Ausstrahlung nicht zusammenpassen, merken wir Hochsensiblen dies ziemlich schnell. Das ist keine Einbildung, sondern eine besondere Art der Wahrnehmung.


Was das Gehirn damit zu tun hat – kurz erklärt


Hochsensibilität lässt sich tatsächlich auch neurologisch erklären. Studien mit bildgebenden Verfahren zeigen, dass im Gehirn hochsensibler Menschen bestimmte Areale intensiver arbeiten – besonders die, die für Empathie, tiefes Denken und Reizverarbeitung zuständig sind:


  • Die Insula – das „Empathie-Zentrum“ - es registriert innere Körperzustände und emotionale Schwingungen. Die Hirn-Region, die unsere Fähigkeit zur Empathie steuert und mitfühlendes Verhalten möglich macht.

  • Der präfrontale Cortex – unser „Denkzentrum“ hinter der Stirn – es hilft uns, Reize zu analysieren, zu reflektieren, zu „überdenken“. Es ist bei hochsensiblen Menschen oft besonders aktiv. Er sorgt dafür, dass wir Situationen reflektieren, soziale Kontexte analysieren und mitdenken, wie sich andere fühlen könnten. Im Zusammenspiel mit der Insula ergibt das: Wir HSP’s fühlen und denken nahezu im Sekundentakt mit.

  • Das Spiegelneuronensystem – es sorgt dafür, dass wir mitfühlen können und reagiert auf das, was wir bei anderen beobachten: Trauer, Schmerz, Wut, Freude … – unser Gehirn spiegelt diese Zustände, als wären sie unsere eigenen. HSP’s nehmen sie so deutlich wahr, dass es nahezu körperlich spürbar wird – es geht ihnen quasi 'durch Mark und Bein'!

  • Und dann ist da noch der Thalamus – quasi das „Tor zum Bewusstsein“ - er arbeitet in etwa wie ein „Postverteiler“ im Gehirn und entscheidet, welche Reize bzw. Sinneseindrücke weitergeleitet werden und welche nicht. Bei Hochsensiblen ist dieser Filter meist durchlässiger. Es gelangen mehr Infos ins System und sie werden tiefer verarbeitet. Z.B. Geräusche, Lichter, Stimmungen – sie alle strömen gleichzeitig durch und das ist für HSP’s oftmals sehr anstrengend.

    *

Das alles macht uns weder „gestört“ noch überempfindlich – sondern schlicht: anders verdrahtet. Und genau das erklärt, warum uns Licht, Geräusche, Worte oder unausgesprochene Spannungen oft so intensiv treffen. Es ist kein Defizit. Es ist eine andere Form der Wahrnehmung. Punkt.


Hier einige Tipps und Impulse, die Eurer Hochsensibilität Raum geben (ohne dass Ihr Euch kleiner macht):

1. Rückzug ist kein Rückschritt. Gönnt Euch Pausen! Nicht morgen oder übermorgen, sondern dann, wenn Ihr sie braucht = jetzt! Euer Nervensystem arbeitet nahezu ständig Hochtouren – es hat sich Erholung verdient. Stille oder Rückzug ist Euer Heilraum.


2. Setzt Reizfilter bewusst ein. Manche nennen es „Empfindlichkeit“, wir HSP’s nennen es feine Antennen. Hört Musik, die Euch gut tut, tragt eine Sonnenbrille bei zu viel Sonnenlicht, setzt Euch Kopfhörer auf, um Euch von zu lauten Umgebungsgeräuschen abzuschirmen, ein JA zu Pausen und ein NEIN zu Dauer-Erreichbarkeit per WhatsApp usw. Ihr dürft entscheiden, was Ihr an Euch ranlasst – und was nicht!


3. Findet Euer kreative „Stimme“. (Einer meiner persönlichen Lieblingstipps – ich schreibe fast mein ganzes Leben lang und daraus hat sich dieser Foto-Blog entwickelt :-) Ob Schreiben, Malen, Musik oder Fotografie … Kreativer Ausdruck ist viel mehr als ein Hobby, sondern für viele HSP’s ist es ein wichtiges Ventil. Wenn zu viele Reize und Gefühle kommen, drückt sie aus, statt sie zu unterdrücken!


4. Natur ist Nervensystem-Medizin. Der Duft von Waldboden, Bäume, Regen … Das Summen der Bienen. Das Zwitschern der Vögel. Das Rauschen eines Baches. In der Natur wird Euer System langsamer, Ihr könnt Euch erden - Eure Gedanken werden klarer und Ihr kommt wieder bei Euch an. Keine App der Welt ersetzt den freien Himmel über Eurem Kopf! Und: Die Natur ist die Apotheke, die für jeden 24/7 kostenlos rund um die Uhr zur Verfügung steht.


5. Tiere verstehen Euch ohne Worte. Ob Hund, Katze, Pferd oder Wildvogel ...: Beboachtet sie genau und nehmt Verbindung zu ihnen auf. Tiere spiegeln Eure Energie und beruhigen Euer System. Und: sie werten nicht. Sie sind einfach. Im Hier & Jetzt.


6. Sagt NEIN – ohne Rechtfertigung. Ihr seid nicht hier, um es allen recht zu machen. Ihr seid hier, um in Eurer Energie zu bleiben. Ein empathisches und ehrliches NEIN zu anderen ist oft ein JA zu Euch selbst. Sagt NEIN, bevor es Euer Körper tut! Das ist keine Schwäche – es ist Selbstachtung und Selbstfürsorge!


7. Sagt klar und deutlich, was Ihr (nicht) braucht! Sprecht offen über Eure Grenzen, bevor sie jemand überschreitet.

Ihr seid nicht zu sensibel. Die Welt ist einfach oft (viel) zu hektisch und zu laut!


8. Wählt Eure Umgebung wie ein Gärtner seinen Boden. Nicht jeder Ort ist gut für Euer persönliches Wachstum. Und nicht jeder Mensch verdient Euer tiefes Fühlen und Spüren. Wählt bewusst und weise aus, mit wem und wo Ihr Eure Energie teilt – es gilt Qualität vor Quantität!


Warum wir oft auf Widerstand stoßen

Wer hochsensibel ist, spürt, wenn etwas nicht stimmt – oft bevor andere es bemerken. Und genau das kann zu Konflikten führen. Vor allem, wenn man den Mut hat, es offen anzusprechen. Viele von uns erleben das im persönlichen Umfeld – Familie, Freunde und ebenso im beruflichen Alltag.

Statt auf Verständnis stoßen wir auf Abwehr. „Jetzt übertreib mal nicht.“ „Du bist wieder viel zu empfindlich.“ ... um nur einige Beispiele zu nennen.

Doch wenn wir spiegeln, was wir wahrnehmen, dann tun wir das nicht, um andere bloßzustellen. Sondern weil wir nicht nur sehen und hören, sondern auch intensiv spüren! Oft sogar klarer, als andere selbst in diesem Moment.


​Warum ich hochsensibel bin – und wie meine Kindheit mich geprägt hat

Hochsensibilität wird oft als ein „Geschenk“ beschrieben – als ein wundervoller Zugang zu einer tieferen Wahrnehmung der Welt. Aber für mich war es anfangs alles andere als ein Geschenk. Es war mein Überlebensmechanismus.

Als Kind wuchs ich in einem Umfeld auf, das von Unstabilität, emotionalem Missbrauch und ständiger Unvorhersehbarkeit geprägt war. In einer Welt, in der Worte oft nicht die Wahrheit sagten und Emotionen um mich herum ständig unterdrückt wurden, war es meine Hochsensibilität, die mich schützte.

Ich musste lernen, nicht nur das zu hören, was gesprochen wurde, sondern auch das, was zwischen den Zeilen lag. Ich musste die unsichtbaren Spannungen spüren, die in einem Raum schwebten – die unterschwelligen Konflikte, das Aufbrodeln von Aggressivität, die unausgesprochenen Ängste, die nicht wahrgenommenen Bedürfnisse. Meine Sensibilität wurde zu meinem Schutzschild.

Meine Fähigkeit, feinste Details wahrzunehmen, half mir, mich in einem chaotischen, toxischen Familienumfeld zurechtzufinden.

Doch obwohl diese Fähigkeit mich in schwierigen Zeiten schützte, brachte sie auch eine ziemlich schwere Last mit sich. Die ständige Überreizung, das tiefe Mitfühlen, das Wahrnehmen der unausgesprochenen Worte und Stimmungen – es war nicht nur eine Gabe, sondern auch eine enorme Herausforderung.

Meine Hochsensibilität war nicht freiwillig – sie war eine Reaktion auf die Welt um mich herum. Sie war die Antwort auf die vielen Unsicherheiten und das zerstörte, fehlende Vertrauen. Sie war meine einzige Möglichkeit, in einem Umfeld zu überleben, das mir keine klare Orientierung gab, sondern mich stattdessen oftmals bedrohte und daran hinderte, mich weiterzuentwickeln.

Aber irgendwann begann ich zu erkennen, dass meine Hochsensibilität mehr war als nur eine Überlebensstrategie. Trotz aller Last war sie vor allem eine besondere Stärke. Sie half mir später, tiefe Verbindungen zu anderen aufzubauen, sie ließ mich nicht nur das Böse im Menschen erkennen und förderte meine Empathie.

Sie lehrte mich, tief zu fühlen und zu verstehen, dass wahre Stärke oft aus den verletzlichsten Momenten und Erfahrungen kommt.


Und da ist noch etwas: hochsensibel und vielbegabt

Ich war das „komische“ Kind. Das Mädchen, das oftmals lieber still für sich alleine malte als spielte. Das schon früh mehr hörte, als gesagt wurde. Und das in der Schule in etlichen Fächern nicht „nur gut“, sondern oft „zu gut“ war – zumindest für die, die damit nicht umgehen konnten. Ich wurde gehänselt. „Streberin“ … „Was malst Du denn da wieder für komische Sachen?!“ Irgendwann habe ich angefangen, mich kleiner zu machen. Bloß nicht auffallen. Bloß nicht zeigen, wie viel ich eigentlich kann. Denn irgendwie war ich immer zu viel – und doch nie genug. Zu Hause wurde, trotz Bekundungen durch Lehrer und Lehrerinnen, meine Begabungen weder gesehen, noch verstanden und schon gar nicht gefördert.

Der Wendepunkt kam, als ich von zu Hause fortging. Sehr früh. Ich wurde frei. Rebellisch. Ich habe die Welt da draußen auf der Straße gesucht – und mich gefunden. In der Kunst. In der Tiefe. In Menschen, die nicht wollten, dass ich mich anpasse, sondern dass ich zeige, was ich kann. Und plötzlich war mein Vielkönnen kein Makel mehr, sondern ein Geschenk – auch für andere.

Heute nutze ich genau diese Stärken – meine Hochsensibilität und meine Vielbegabung – in meinem Beruf: Ich analysiere Prozesse, begleite Menschen in stressigen Situationen, entwickle Kommunikationslösungen, engagiere mich sozial und bilde mich stetig weiter.

Ich begleite Menschen wie Tiere in ihren jeweiligen Entwicklungs- und Beziehungsprozessen – oft jenseits der Sprache, in nonverbalen Resonanzräumen. Achtsamkeit, Empathie, die Fotografie und die Prinzipien der gewaltfreien Kommunikation helfen mir dabei, Brücken zu bauen, wo Worte fehlen.


Ich bin nicht entweder oder. Ich bin beides. Sensibel und stark. Und wenn Ihr Euch hier wiedererkennt: Hört auf, Euch zu verstecken. Wir brauchen Menschen wie Euch – die fühlen und gestalten. Die spüren und verändern. Die leise sind und laut werden, wenn es drauf ankommt.


​Deshalb ist es höchste Zeit ist, mehr und offen über Hochsensibilität zu sprechen!

Diese feine Wahrnehmung als Stärke zu verstehen und nicht ist als Schwäche, ist enorm wichtig. Dies ist jedoch nur möglich, wenn wir Raum dafür bekommen – im privaten wie im beruflichen Kontext. Denn hochsensible Menschen …

  • spüren Spannungen, lange bevor sie eskalieren.

  • erkennen subtile Veränderungen in der Körpersprache, im Tonfall oder der Energie im Raum – bevor es jemand anderes überhaupt bemerkt hat (ein Blick – tausend Informationen).

  • denken vernetzt und können komplexe Zusammenhänge intuitiv erfassen.

  • handeln oft ethisch motiviert - Gerechtigkeit und Ehrlichkeit und sind keine Floskeln – es sind ihre Grundpfeiler.

  • sind loyale Freund*innen und Kolleg*innen, weil sie echtes Interesse am Gegenüber haben und nicht nur Smalltalk führen wollen.

  • haben ein ausgeprägtes Gespür für Authentizität – sie erkennen Täuschung oder Oberflächlichkeit oftmals im Nu und das Gesicht hinter der „Maske“.

  • brauchen Rückzugsorte, weil ihre Reizverarbeitung eben keinen „Ein-Aus-Knopf“ besitzt. Sie brauchen Zeiten der Ruhe – nicht aus Schwäche, sondern zur Regeneration (Selbstfürsorge). In der Stille tanken sie Kraft, Klarheit und finden neue Impulse.

  • sind oft kreative Köpfe, weil sie tiefer fühlen und dadurch andere Blickwinkel entwickeln – in Kunst, Schreiben, Design, Musik, aber auch bei der Problemlösung.

  • spüren Disharmonie, auch wenn sie unausgesprochen bleibt – und wünschen sich echten, friedlichen Austausch statt Fassaden.

  • fühlen sich oft verantwortlich, auch für das, was andere fühlen – was schön sein kann, aber auch überfordernd.

  • … starke Verbindung zu Tieren, weil Tiere ehrlich kommunizieren, ohne Masken. In ihrer Gegenwart fühlen sie sich oft sicher, verstanden und geerdet.

  • … engagieren sich in sozialen Projekten – ob Umweltschutz, Tierschutz oder stille Hilfsaktionen: Hochsensible möchten die Welt ein Stück besser machen – weil sie das Leid anderer nicht einfach „ausblenden“, sondern über ein tiefes Verstehen für die Bedürfnisse fast aller Lebewesen verfügen.


Doch all’ das wird erst dann zum Geschenk, wenn es gesehen, respektiert und verstanden wird. Dafür braucht es Aufklärung, Offenheit – und den Mut, auch über das zu sprechen, was man nicht messen kann, aber eben doch spürt.


​Für alle, die auch so empfinden – und: für alle anderen!

Wenn Ihr selbst hochsensibel seid, wisst Ihr, wie es ist, tiefer zu fühlen. Mehr wahrzunehmen ist oft auch „zu viel“ – doch gleichzeitig auch auf eine Weise, die unglaublich wertvoll ist.

Und wenn Ihr selbst nicht so tickt, dann lädt dieser Artikel vielleicht dazu ein, Euren Blickwinkel zu verändern. Hochsensible sind nicht empfindlich – sie sind empfindsam. Und das ist ein feiner, aber sehr entscheidender Unterschied.


Warum die Welt uns HSP’s gerade jetzt braucht

In einer Welt, die immer lauter, schneller, kälter wird – braucht es Menschen, die hinhören, bevor geschrien wird. Die fühlen, bevor etwas zerbricht. Die spüren, was unausgesprochen bleibt. Wir Hochsensiblen sind nicht das „zu zarte Pflänzchen“ am Rande der Gesellschaft – wir sind oft der fehlende Teil in einem System, das verlernt hat, emphatisch zu sein!

Hochsensible denken tiefer, hören zwischen den Zeilen, und verbinden das, was andere trennen. Sie sind nicht das Problem – sie sind ein wichtiger Teil der Lösung.

Unsere Zeit ist jetzt. Nicht, um uns anzupassen. Sondern um mit unserer Wahrnehmung Brücken zu bauen – zwischen Herz und Verstand, Mensch und Umwelt.


„Die Verletzlichkeit ist die Geburtsstätte von Mut,

Kreativität und Veränderung.“

(Brené Brown)



Bleibt achtsam - seid großartig!


Eure Alex (vom Team Alexografie)




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© Alex We Hillgemann April 2025 / Alexografie  - Photos: Alex We Hillgemann, Wix


*Quellen:

  • Aron, E. N. (2017). Sind Sie hochsensibel? (mvg Verlag)

  • Hüther, G. (2014). Biologie der Angst. (Vandenhoeck & Ruprecht)

  • Kißler, J. et al. (2006). Emotional brain activation during affective picture processing (Brain Research Bulletin, 71(1–3), 153–159)


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